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Provinzial-Correspondenz
1877
28. Februar , Seite 1"...No. 9. Provinzial-Correspondenz. Fünfzehnter Jahrgang. 28. Februar 1877. Die Frage der Berlin-Dresdener Eisenbahn, welche schon im vorigen Jahre das Abgeordnetenhaus beschäftigt hat, damals aber nicht zur entscheidenden Berathung gelangte, ist durch eine erneute Vorlage der Staatsregierung wieder in dringende Anregung gekommen. Auf Grund eines Seitens der Regierung mit der in Rede stehenden Eisenbahngesellschaft abgeschlossenen Vertrages soll derselben die Garantie des Staates für die Verzinsung einer Anleihe von nahezu 23 Millionen Mark bewilligt werden, wogegen die Gesellschaft dem Staate die Verwaltung und den Betrieb der Eisenbahn für Rechnung und Gefahr der Gesellschaft überträgt. Den äußeren Anlaß zu dem Vorgehen der Regierung hat die Nothlage der Eisenbahngesellschaft gegeben, welche sich nicht mehr im Stande sieht, aus eigener Kraft das Unternehmen fortzuführen und sich deshalb mit der Frage an die Staatsregierung gewandt hatte, ob und unter welchen Bedingungen sie etwa bereit sei, die Fürsorge für da ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
28. Februar , Seite 2"...Ausbildung des Verstandes zu fördern und ihnen nicht blos nützliche Kenntnisse beizubringen, sondern sie auch moralisch zu erziehen, so wird dies Bemühen doch immer nur Stückwerk bleiben neben den Einflüssen, die sich außerhalb der Schule geltend machen. Die Erziehung erfolgt der Hauptsache nach nicht in der Schule , sondern in der Familie , und der Lehrer kann hierbei nur helfen und mitwirken. Leider sind aber in den Kreisen, aus denen unsere Zuchthäuser sich rekrutiren, Zucht und Erziehung häufig unbekannte Dinge, und es ist nichts Unerhörtes, daß die Kinder durch das böse Beispiel oder gar durch die Anleitung der eigenen Eltern auf den Weg des Verbrechens geführt werden. Von den Insassen unserer Gefängnisse würde ein großer Theil dem Strafrichter nicht verfallen sein, wenn ihnen in der Jugend und zur rechten Zeit die Wohlthat einer strengen, geregelten Zucht zu Theil geworden wäre; für die Meisten ist das Gefängniß nur die natürliche Folge und der Abschluß der Verwahrlosung, in der sie aufgewachsen sind. D ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
28. Februar , Seite 3"...habe das Gesetz vom 13. Mai 1873 in allerbescheidenster und in solcher Weise aufgestellt, daß man sie verständigerweise gar nicht wird bestreiten wollen. Denn es sage nur, daß auch ein dem inneren Gebiete angehöriges Straf- und Zuchtmittel dann nicht zulässig sei, wenn die Strafe gegen ein Mitglied der Religionsgesellschaft, welches ja doch zugleich preußischer Bürger ist und geschützt werden soll, wegen einer Handlung angewendet werden soll, zu welcher die Staatsgesetze dieses Mitglied verpflichten. Die Ultramontanen verlangten also, daß man dem Priester einer Kirche die Gewalt geben solle, das am schmerzlichsten berührende Zuchtmittel gegen einen Mann anwenden zu können, weil er als rechtschaffener preußischer Bürger die Handlungen erfüllt hat, die er nach dem Gesetz erfüllen muß. Dieses Verlangen kennzeichne ihren ganzen Standpunkt: der Priester soll mit seinem absoluten Willen über jedem Recht, über jeder Freiheit stehen. Es wurde ferner noch darauf hingewiesen, daß nicht erst die Maigesetze, sondern scho ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
28. Februar , Seite 4"...Camphausen entschieden befürwortet. Gegenüber der Behauptung, daß die beiden Minister durch die Stellung der Vertrauens- oder Kabinetsfrage bei dieser Angelegenheit einen Druck auf das Haus zu üben versuchen, erwiderte der Finanzminister: er wisse nicht, ob die Aussicht, daß eine solche Kabinetsfrage vorliege, die Zahl der Votanten für oder gegen vermehren werde. Er wolle aber nicht Anstand nehmen, auszusprechen, daß die beiden Minister aus der Annahme oder Ablehnung dieser Vorlage eine Kabinetsfrage nicht machen werden und zwar, weil das Votum aus den verschiedensten Motiven sich bilden werde. Wenn aber gewisse Bestimmungen, die gegen die beiden Minister gerichtet seien, dieselben dahin bringen wollen, daß sie Grundsätze verleugnen sollen, zu denen sie sich früher bekannt haben, so könne er vorhersagen, daß er für seine Person diese Kabinetsfrage sofort stellen werde . Dieser Erklärung schloß sich der Handelsminister an. Die Vorlage wurde in namentlicher Abstimmung mit 189 gegen 182 Stimmen angenommen. Die d ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
07. März , Seite 1"...No. 10. Provinzial-Correspondenz. Fünfzehnter Jahrgang. 7. März 1877. Die jüngste Landtags-Session gehört zu den kürzesten ordentlichen Sessionen, welche im Verlaufe des parlamentarischen Lebens in Preußen stattgefunden haben. Am 12. Januar eröffnet, am 3. März geschlossen, hat dieselbe nur sieben Wochen gedauert. Die Thronrede des Kaisers bei der Eröffnung des Landtags hatte von vornherein darauf hingewiesen, daß die Session im Hinblick auf den nahen Zusammentritt des Reichstages auf die Erledigung der dringendsten Aufgaben zu beschränken sein werde, daß dagegen die nunmehr gesicherte regelmäßige Folge der parlamentarischen Sessionen im Deutschen Reiche und in Preußen demnächst eine stetige Arbeit auf beiden eng verknüpften Gebieten ermöglichen werde. Für den nächsten Herbst, wo die regelmäßige Folge der Sessionen eintreten soll, wurden daher alle umfassenden Aufgaben der Gesetzgebung, namentlich die Fortführung der inneren Reform auf den verschiedenen Gebieten vorbehalten, für die diesmalige Session dagegen ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
07. März , Seite 2"...Nun, meine Herren, nachdem es mir gelungen war, die Bildung des Reichskriegsschatzes, die ja bekanntlich statt der 30 Millionen Thaler, die in Preußen flüssig gemacht wurden, 40 Millionen Thaler hinterlegte, – nachdem es mir gelungen war, diese Bestimmung durchzusetzen, was nicht ohne einige Anstrengung fertig zu bringen war, indem namentlich einige Herren ausführliche Darlegungen dafür machten, wie wünschenswerth es doch für das Land sein würde, die ganze Summe dem Verkehr zu übergeben , anstatt sie für den Kriegsschatz festzulegen, da kam ich nun in den Fall, der preußischen Landesvertretung den angekündigten Vorschlag wegen Tilgung der 5prozentigen Anleihe zu machen bei Vorlegung des Etats für das Jahr 1871. Es hat die Budgetkommission nach längerer Berathung einstimmig den Antrag gestellt, auf den Vorschlag einzugehen, die Tilgung gut zu heißen, und so ist denn danach verfahren worden. Wir haben damals durch diesen Schritt die erste Grundlage zu einer gesunden Gestaltung unserer Verhältnisse gelegt, wir h ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
07. März , Seite 3"...urtheilung überlassen zu können. Freilich kommen immer und immer wieder Andeutungen, die mehr oder weniger deutlich machen sollen, daß an meiner Persönlichkeit eine gewisse Schuld der Nichtbesserung liege, es werden allerlei Formeln gesucht, die da bedeuten, ich sei persönlich engagirt. Es wird mir der Gedanke nahe gebracht, ich möchte doch wohlthun, mein Verhalten zu ändern, denn sonst würde mit dem Ende des Kulturkampfes auch meine amtliche Stellung zu Ende sein. Ja, ich bin manchmal zweifelhaft, ob hinter diesen Bemerkungen nicht auch der Gedanke liegt, daß ich, um in dieser Stelle zu bleiben, den Kulturkampf fortführe. Nun, meine Herren, ich darf ja solche Gedanken den Herren, die ich dabei im Sinne habe, nicht unterlegen, aber so ganz zurückweisen konnte ich diesen Eindruck solcher Bemerkungen doch nicht. Da möchte ich Sie wirklich bitten, nur dieses Wenige zu bedenken: Ich habe an dieser Stelle gestanden nun mehr als 5 Jahre unter dem täglich fühlbaren Drucke ernstester Verantwortlichkeit unter einer au ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
07. März , Seite 4"...maligen »Scheidegruß« für den Kultusminister hatte einer der schärfsten Redner der Partei am Tage zuvor noch einen Rückblick auf die gesammte Wirksamkeit des Ministers gehalten, ihm namentlich die Verwilderung und Entsittlichung der Schule vorgeworfen, und gegen die von ihm geübte »Glaubensbedrückung« weiteren entschiedenen Widerstand angekündigt. Während er rühmte, daß »der gefangene Papst im Vatikan«, sowie die vertriebenen abgesetzten und in die Gefangenschaft gebrachten Bischöfe weit mächtiger seien, als jemals vorher in der Freiheit, und daß Roms Macht durch den »Kulturkampf« bedeutend gewachsen sei, sprach er dagegen die Warnung und Drohung aus, daß dieser Kampf seine dunkelen Schatten auch bereits auf das Verhältniß des Volkes zu unserem Fürstenhause werfe. Je größer der Unwille war, mit welchem die Mehrheit des Hauses diese und ähnliche Aeußerungen seit Wochen angehört hatte, desto überraschender wirkte das Auftreten eines Redners aus der ultramontanen Partei, welcher versicherte, daß ihm »nichts so s ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
14. März , Seite 1"...No. 11. Provinzial-Correspondenz. Fünfzehnter Jahrgang. 14. März 1877. Der gewerbliche Nothstand und die Staatshülfe. (Nach einer amtlichen Denkschrift.) I. Die seit dem Jahre 1873 eingetretene rückgängige Bewegung, welche dem großen Aufschwung der gewerblichen Thätigkeit in Preußen gefolgt war und welche zunächst und vorzugsweise die Großindustrie, nach und nach aber auch das Kleingewerbe in fühlbarster Weise ergriffen hatte, hat in den letzten Monaten in einzelnen Landestheilen entschiedene Nothstände herbeigeführt. In einigen vorzugsweise industriereichen Bezirken hat sich die Lage neuerdings besonders dadurch in erheblichem Maße verändert, daß der Steinkohlen-Bergbau, welcher bis dahin in schwunghaftem Betriebe und in steigender Förderung verblieben war und gerade in den Jahren 1875 und 1876 eine bis dahin nicht gekannte Höhe der Produktion erreicht hatte, sich vorzugsweise in Folge des ungewöhnlich milden Winters zu einer sehr erheblichen Herabminderung der Förderung genöthigt sah. Besonders wurde der We ..." -
Provinzial-Correspondenz
1877
14. März , Seite 2"...geführt hat, daß gegenwärtig die Produktionsfähigkeit der Industrie des Landes außer allem Verhältnisse zu dem vorhandenen Bedürfnisse steht, während andererseits in Folge der Erhöhung der Arbeitslöhne und der Materialienpreise eine Vergrößerung der Selbstkosten eintrat, die eine unverhältnißmäßige Vertheuerung der Produktion bewirkte und damit die Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie auf den Absatzmärkten beschränkte. Um für die neuen Unternehmungen und die ausgedehnten in Betrieb bestehenden Werke die nöthigen Arbeitskräfte zu erhalten, trat in den erwähnten Jahren eine nie gekannte Nachfrage nach Arbeitern ein und durch Anbieten hoher Löhne wurden solche aus entfernten Gegenden nach den Mittelpunkten der Industrie hingezogen . Das Zuströmen von Arbeitern nach den großen Städten des Landes und sonstigen Industrieplätzen nahm einen bedenklichen Umfang an. Es hatte den doppelten Nachtheil im Gefolge, daß dort durch die plötzliche Vermehrung der Bevölkerung ein erhebliches Steigen der Lebensmittelpreise eintr ..."